VENRO fordert Ratifizierung von ILO 169

Am 27. Juni 1989 hat die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organization – ILO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, das “Übereinkommen Nr. 169 der ILO über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ angenommen. Die genannte ILO-Konvention 169 verwendet noch den Begriff „eingeborene Völker“, statt des inzwischen üblicheren „indigene Völker“. Die Konvention ist das einzige bislang bestehende rechtsverbindliche UN Dokument zum Schutz und zur Förderung indigener Völker. Sie wurde bislang von 17 Staaten ratifiziert (Stand: Juni 2002). Zu den Vertragsstaaten gehören: Bolivien, Costa Rica, Dänemark, Ecuador, Fidschi, Guatemala, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Paraguay und Peru. Ende 2004 geht die UN Dekade der Indigenen Völker zu Ende.

Die VENRO-Mitgliederversammlung fordert die Bundesregierung auf, die ILOKonvention 169 im kommenden Jahr spätestens bis zum Ende der UN-Dekade zu ratifizieren. Mit der Ratifizierung würde die Bundesrepublik als wichtige Industrienation ein deutliches Zeichen zum Schutz indigener Völker setzen und an dieser konkreten Stelle ihrem im Koalitionsvertrag gegebenen Versprechen, Menschenrechte zur Querschnittsaufgabe deutscher Politik zu machen, auch die konkrete Tat folgen lassen.

Begründung

Die Menschenrechte indigener Völker werden in vielfacher Hinsicht verletzt. Häufig gehören die Ureinwohner (Indigene) zu den heute wirtschaftlich und sozial am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen in den Staaten, in denen sie leben. Traditionelle Landrechte indigener Völker werden vielfach nicht anerkannt; Jagd- und Sammelrechte, das Recht auf eigene Sprache, Bildung und Kultur kann oder darf nicht oder nur unzureichend wahrgenommen werden. Traditionelles Wissen um heilende Wirkstoffe von Pflanzen wird von Pharma konzernen ohne Einverständnis oder Gewinnbeteiligung der betroffenen indigenen Gruppen genutzt und vermarktet. Vergleichbares gilt für Kunstobjekte und traditionelle Designs indigener Kunst und Kultur. Gleichzeitig wird häufig die Finanzierung und Förderung z.B. eigener Gesundheitsdienste indigener Völker, die u.a. auf traditionellen Heilmethoden aufbauen, oder eigener Schulen mit kulturell angepassten Curricula, vernachlässigt oder verweigert. Die Möglichkeiten indigener Völker zur gleichberechtigten Partizipation an der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Länder, in denen sie leben, sind folglich drastisch eingeschränkt.

Die o.g. ILO-Konvention 169 verlangt, dass „eingeborene und in Stämmen lebende Völker […] in den vollen Genuss der Menschenrechte und Grundfreiheiten [kommen,] ohne Behinderung oder Diskriminierung“ (Art. 3.1) und dass der Staat ggf. besondere Maßnahmen zum Schutz von Einzelpersonen, Einrichtungen, des Eigentums, der Arbeit, der Kultur und der Umwelt der betreffenden Völker1 ergreift (Art. 4.1). Art. 2 der Konvention sieht es als Aufgabe der Regierungen an, mit Beteiligung der betreffenden Völker koordinierte und planvolle Maßnahmen auszuarbeiten, um die Rechte dieser Völker zu schützen. Zweck solcher Maßnahmen ist es laut Art. 2.2 der ILO-Konvention 169:

  1. sicherzustellen, dass die Angehörigen dieser Völker von den Rechten und Möglichkeiten, welche die innerstaatliche Gesetzgebung anderen Angehörigen der Bevölkerung gewährt, gleichberechtigt Gebrauch machen können;
  2. die volle Verwirklichung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte dieser Völker unter Achtung ihrer sozialen und kulturellen Identität, ihrer Bräuche und Überlieferungen und ihrer Einrichtungen zu fördern;
  3. den Angehörigen der betreffenden Völker dabei zu helfen, das zwischen eingeborenen und anderen Angehörigen der nationalen Gemeinschaft gegebenenfalls bestehende sozioökonomische Gefälle in einer Weise zu beseitigen, die mit den Bestrebungen und der Lebensweise dieser Völker vereinbar ist.

Bei der Abfassung der ILO-Konvention 169 wurden indigene Völker angemessen konsultiert. In den Ländern des Südens, die ratifiziert haben, hatten indigene Völker meist einen wesentlichen Anteil an der politischen Arbeit dafür und fordern heute deren Umsetzung. Die Konvention enthält aber keine maximalistischen Forderungen zugunsten indigener Völker, die die legitimen Ansprüche anderer benachteiligter Bevölkerungsgruppen – wie z.B. Landlose – diskriminieren würden.

Mit dem Argument, in der Bundesrepublik Deutschland gäbe es keine indigenen Völker, hat die Bundesregierung lange Jahre die Ratifikation der o.g. ILO-Konvention 169 abgelehnt. Im Dezember 2003 kam Bewegung und Hoffnung in die deutsche Politik, als SPD und Bündis 90/Grüne in ihrem Bundestagsantrag „Menschenrechte als Leitlinie der Politik“ die Ratifikation der ILO-Konvention forderten.

Doch dieser Forderung der Regierungsparteien sind bislang keine Taten der Regierung gefolgt. Vielmehr regt sich vor allem im federführenden Ministerium für Wirtschaft und Arbeit Widerstand gegen die Ratifikation. Vordergründig werden Befürchtungen geäußert, dass „bestimmte Gruppen“ auf die Idee kommen könnten, sich wenngleich nicht als indigene Völker so doch als Stammesvölker im Sinne der ILO anerkennen zu lassen und daraus Rechtsansprüche abzuleiten. Diese theoretische Möglichkeit besteht zwar nach Auskunft der ILO. In der Schweiz ist die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 daran gescheitert, dass eine bestimmte Gruppe von Fahrenden den Status eines Stammesvolkes beansprucht hat und Gegner der Gesetzesvorlage im Parlament dies politisch als Argument gegen eine Ratifizierung genutzt haben. Demgegenüber ist festzuhalten, dass sich die in Deutschland alteingesessenen Sinti und Roma als nationale Minderheiten verstehen, also als etwas völkerrechtlich und ethnologisch völlig anderes als ein indigenes Volk oder ein Stamm.

Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Iserlohn zum Thema „Indigene Völker ohne Rechte?“ im Oktober 2003 zeigte sich, dass die wahren Ängste und Gründe des BMWA vermutlich andere sind – nämlich die, dass sich aus einer von der Bundesrepublik ratifizierten Konvention 169 verbindliche Rechtsstandards für die Gestaltung der Außenwirtschaftspolitik ableiten lassen könnten. Dies könnte z.B. Auswirkungen auf die Vergabe von Hermes- Bürgschaften haben (z.B. dort, wo es um die Ausbeutung von Ressourcen geht, die in Gebieten gefunden wurden/werden, die traditionell in indigenem Besitz waren und auf die indigene Völker Anspruch erheben). 1 Die ILO-Konvention 169 versteht den Begriff „Volk“ explizit nicht im völkerrechtlich bindenden Sinne Ein loses Kampagenennetzwerk informiert seit mehreren Jahren bereits die deutsche Öffentlichkeit über die ILO-Konvention 169 und fordert die Ratifikation durch die Bundesrepublik. Zu diesem Netzwerk gehören u.a. das Klimabündnis, urgewald, amnesty international, FIAN, die Gesellschaft für bedrohte Völker, das Institut für Ökologie und Aktionsethnologie (infoe), die Adivasi-Koordination, der Ökumenische Ausschuss für Indianerfragen und neuerdings auch „Brot für die Welt“. Auch die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko, in der Misereor und das Referat Menschenrechte im DW-EKD mitarbeiten, tritt für eine Ratifikation der ILO-Konvention 169 ein.

Eine Verabschiedung der o.g. VENRO-Resolution würde den Bemühungen des bereits bestehenden losen NRO-Bündnisses eine weitere wichtige Stimme hinzufügen und damit den Druck auf die Bundesregierung zur Ratifikation der ILO-Konvention 169 verstärken. Eine Ratifikation durch die Bundesrepublik hätte eine wichtige Signalwirkung auch für andere Staaten. Selbst Vertragsstaaten (wie z.B. Mexiko) haben in der Vergangenheit Kritik aus Nicht-Vertragsstaaten mit dem Hinweis zurückgewiesen, diese sollten die Konvention doch erst einmal selbst ratifizieren. Eine Ratifizierung durch die Bundesrepublik wäre zudem ein angemessener und notwendiger Schritt zur Umsetzung der im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte festgelegten Verpflichtung aller Vertragsstaaten auch zu internationaler Hilfe und Zusammenarbeit, mit dem Ziel der Verwirklichung und Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte.