Die „üblichen Verdächtigen“ – Argumente, die angeblich gegen die Ratifizierung der ILO 169 sprechen und wie sie widerlegt werden können

Argument Nr. 1

In und für Deutschland gibt es keinen Handlungsbedarf: Es gibt zwar Minderheiten in Deutschland, aber keine Minderheit, die unter der Definition der ILO 169 eine indigene Gemeinschaft darstellen würde.

Unsere Sicht

Nach unserer Auffassung gibt es aktuell keine Rechtssubjekte in Deutschland im Sinne der ILO-Konvention 169, da uns eine Selbst-Identifikation entsprechender Bevölkerungsgruppen, so wie dies Art. 1 (2) der ILO 169 vorsieht, nicht bekannt ist. Die Ratifizierung ist dennoch sinnvoll: Es bestehen vielfältige Beziehungen zwischen indigenen Völkern im Globalen Süden und der Bundesrepublik Deutschland, die eine Ratifizierung aus völkerrechtlichen Gründen notwendig machen.

Das nach unserer Auffassung faktisch fehlende Rechtssubjekt im nationalen Rahmen steht einer Ratifizierung durch die Bundesregierung nicht entgegen, vor allem aufgrund der unterschiedlichen Beziehungen zwischen indigenen Völkern und der Bundesrepublik Deutschland. Zum einen nimmt die Bundesrepublik Deutschland für sich in Anspruch, an internationalen Prozessen zur völkerrechtlichen Standardsetzung maßgeblich beteiligt zu sein. Dies beinhaltet unter anderem, gerade die unter eigener Mitwirkung zustande gekommenen Standards auch zu ratifizieren und ihnen mithin im Rahmen der internationalen Beziehungen zu größerer Anerkennung zu verhelfen. Allein aus diesem Grund ist die Auffassung irrig und widerlegbar, die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch die Bundesrepublik sei für Deutschland irrelevant und völkerrechtlich nicht sinnvoll. Nicht zuletzt würde sich die Bundesrepublik zu einem internationalen Streitschlichtungsmechanismus bekennen, der in die Vertragsstruktur der Vereinten Nationen eingebettet ist.


Argument Nr. 2

Die ILO 169 dient dem Schutzzweck von Indigenen im jeweiligen Staatsgebiet. Für deutsche Unternehmen, die im Ausland investieren oder operieren, gilt die ILO 169 nicht; ebenfalls nicht für Pflichten innerhalb der Lieferketten.

Unsere Sicht

Die Bundesregierung kann mit der Ratifizierung der ILO 169 im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung darauf bestehen, dass vor der Durchführung von Großprojekten unter Beteiligung deutscher Unternehmen Konsultationsverfahren in Gebieten indigener Völker angewendet werden, so wie sie in der ILO 169 bzw. UN-Erklärung (UNDRIP 2007) verbrieft sind.

Der ILO-Ausschuss befragt zur Konvention 169 in den letzten Jahren die Vertragsparteien insbesondere danach, inwieweit sie dem Auftrag zu einem fairen Konsultationsverfahren nachgekommen sind (Artikel 6); und verwendet durchaus die über den Wortlaut aus ILO 169 Art. 6 weitergehenden Kriterien aus der Vorgabe des Free, Prior and Informed Consent aus der UNDRIP. Eine solche Frage ließe sich an die Bundesregierung etwa im Zusammenhang mit den Außenwirtschaftsförderungsinstrumenten richten; eben z. B. bei den sogenannten Hermesbürgschaften. D. h. also eine unmittelbar einschlägige Anwendung. Darüber hinaus diskutieren nicht nur Vertreterinnen der Zivilgesellschaft sondern auch Völkerrechtlerinnen über die extraterritorialen Staatenpflichten, die zunächst Entscheidungen in der Weltbank, aber grundsätzlich via staatlicher Rechtsaufsicht und Sorgfaltspflichten auch in Bezug auf Unternehmen angewandt werden, die ihren Stammsitz in der Bundesrepublik haben. Schließlich gab es aus dem BMZ immer wieder den Hinweis, dass es bei einer Ratifizierung der ILO 169 deutlich einfacher wäre, mit anderen Vertragsstaaten einschlägige Fördermaßnahmen zu vereinbaren, die explizit die geforderte Rechts-, Konsultations- und Partizipationsstruktur aus der ILO 169 umzusetzen bzw. überhaupt erst zur Sprache zu bringen.


Argument Nr. 3

Da es keine Indigenen und damit keine Rechtssubjekte im Sinne der ILO 169 in Deutschland gibt, wäre für Deutschland nur eine „Solidarratifizierung“ der ILO 169 möglich. Solch eine Solidarratifizierung ist nicht im Sinne der ILO Normen. Es könnte sogar kontraproduktiv sein.

Unsere Sicht

Die ILO 169 wird durch nationale Gesetze umgesetzt. Der Gesetzgeber kann die Anwendungsbereiche der ILO 169 so definieren, dass sie eindeutig über eine Solidarratifikation hinausgehen. Ein Anwendungsbereich sollte die Außenwirtschaftsförderung betreffen– hierfür besteht Gestaltungsspielraum. Zudem ganz wichtig: Deutschland stärkt mit der Ratifizierung die normative Wirkung der ILO 169.

Das Genfer Rechtsamt vertritt z. B. die Ansicht, es könnte insofern kontraproduktiv sein, wenn die Konvention keinerlei Pflichten für den Vertragsstaat mit sich brächte, und insofern die Anwendung der Rechtsnormen beliebig würde. Für Deutschland träfe dieser Kontext allerdings unter Bezugnahmen der Außenwirtschaftsförderung (so wie oben dargestellt) nicht zu. Darüber hinaus hat die ILO-Abteilung zur Förderung der Konvention 169 immer die Meinung vertreten, dass die Wirkung der Rechtsnormen der ILO 169 faktisch umso größer wird, je mehr internationale Unterstützung sich via Ratifizierungen ergeben, und sich im Sinne der Entwicklung von völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht ein Normbewusstsein und eine Normpraxis entwickelt, an dem die Staaten mit Bezug auf indigene Völker nicht mehr vorbeikommen.

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