Kommentar: EZ mit indigenen Völkern – Nur Konzeptpapiere anstelle verbindlicher ILO-Konventionen?

Ergebnis: Null! Zur Erinnerung: Die Konvention garantiert als bislang einzige internationale Norm den Ureinwohnern rechtsverbindlichen Schutz und Anspruch auf eine Vielzahl von Grundrechten. Sie stärkt die Rechte von etwa 300 Millionen Menschen – vier bis fünf Prozent der Erdbevölkerung, die über Reste einer eigenen Sprache, Religion und Kultur verfügen und vielfach noch in enger Beziehung zur Natur leben. Die Konvention wurde am 27. Juni 1989 verabschiedet und trat am 5. September 1991 in Kraft. Bislang haben sie 17 Staaten unterzeichnet, darunter Dänemark, die Niederlande und Norwegen.

Wenn das BMZ mit dem Konzept die Rechte indigener Gruppen fördern will, dann ist das nur zu begrüßen. Die Bundesregierung darf es dabei aber nicht bewenden lassen. Sie sollte nach 20 Jahren endlich einen positiven Schlussstrich unter diese Debatte ziehen. Alles andere wäre schwer nachzuvollziehen. Erst im August wurde mit der Stimme der Bundesrepublik eine andere wichtige Etappe genommen: Nach mehr als 20 Jahren Verhandlungen nahm der UN-Menschenrechtsrat die "UN-Deklaration zu den Rechten indigener Völker" an.
Das BMZ hatte bereits 1996 dafür plädiert, die ILO-Konvention in der Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik zu berücksichtigen. Noch im selben Jahr setzt sich die Regierung Kohl im Rahmen einer Anfrage der SPD mit dem Thema auseinander. Völkerrechtliche Bedenken gab es seinerzeit keine. Dass es gleichwohl nicht zur Ratifizierung kam, lag an der in der Regierung vorherrschenden Meinung, die Konvention richte sich nur an Staaten, in deren Grenzen Indigene beheimatet seien.

Dieses Argument gälte freilich genauso für die Niederlande oder Dänemark. Andererseits hat die Bundesregierung in der Vergangenheit wiederholt internationale Abkommen ratifiziert, die für den Geltungsbereich des Grundgesetzes rechtlich ohne Konsequenzen waren – etwa zur Abschaffung der Todesstrafe. Unterschrieben wurde trotzdem, um menschenrechtlichen Positionen durch die eigene Unterschrift ein größeres Gewicht zu verschaffen. Daran erinnern die Mitglieder des "Koordinationskreises ILO-Konvention", wenn sie darauf drängen, dass Deutschland die Konvention 169 ratifiziert.

Indigene werden häufig Opfer von Ausbeutung, Unterdrückung und Diskriminierung. In vielen Fällen bedrohen Staaten und wirtschaftliche Akteure ihre Lebensgrundlagen. Auch Aktivitäten der Bundesrepublik und der von ihrem Territorium aus agierenden Konzerne haben teils unmittelbare Folgen für indigene Gruppen. So stammt das Gas, für dessen Export die Ostseepipeline gebaut wird, von Ureinwohnerland in Sibirien. In der Vergangenheit wurden die Rohstoffen ohne Rücksicht auf die Lebens- und Wirtschaftsweise der indigenen Völker gefördert. Illegale Abholzung oder die Ausweitung von Soja- und Palmölplantagen wären andere Beispiele. Dagegen können sich indigene Gruppen dank der Konvention leichter wehren. Dass das umso besser geht, je mehr Länder die Konvention mittragen, muss nicht ausgeführt werden.

Trotzdem scheiterte zu rot-grüner Zeit ein gemeinsamer Vorstoß der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen am Arbeitsministerium. Anscheinend gab es Bedenken, dass die Konvention den Spielraum der Politik einschränken und die Möglichkeit der Selbstidentifikation ("in Stämmen lebend") zu einem unkalkulierbaren Risiko bei der Inanspruchnahme (etwa durch Romagruppen) in Deutschland führen könnte. Auch Veränderungen bezüglich der auf Integration ausgerichteten Minderheitenpolitik Deutschlands wurden befürchtet.

In den kommenden Monaten könnte die Bundesrepublik erneut Zeichen für eine an den Menschenrechten orientierte Politik setzen: Bündnis 90/Die Grünen hat die Bundesregierung in einem Antrag aufgefordert, endlich die Konvention zu ratifizieren. Die Bundesregierung sollte die Chance beherzt ergreifen. Nach all ihren Aktivitäten in jüngster Vergangenheit wäre es halbherzig, dabei stehen zu bleiben. So wichtig es ist, indigene Völker in alle sie betreffende Vorhaben einzubeziehen, an der völkerrechtlichen Anerkennung ihrer Rechte führt schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit kein Weg vorbei. Gedenktage und Internationale Dekaden sind umsonst, wenn gewichtige internationale Akteure wie die Bundesrepublik beim Fortschreiben der Menschenrechte abseits stehen bleiben.

Norbert Glaser arbeitet als entwicklungspolitischer Fachjournalist in Frankfurt/Main.

Erschienen in: einsEntwicklungspolitik 21-2006

Share on Social Networks