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Misereor ist besonders darum bemüht, indigene Völker in ihren Anstrengungen um die Stärkung und Fortentwicklung ihrer eigenen Prinzipien zur Lebensgestaltung als Grundlage nachhaltiger Entwicklung in ihren Territorien und als Beitrag für die Zukunft des Lebens auf der Erde zu unterstützen. Deshalb werden Maßnahmen gefördert, mit deren Hilfe indigene Völker ihre eigenen Konzepte, Erfahrungen und Weltbilder artikulieren und in jenen Projekten und Planungsprozessen einbringen können, die ihre vitalen Interessen berühren und sich auf ihre Territorien beziehen.
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Wir stellen immer wieder fest, dass Projekte indigener Völker, die von uns unterstützt werden, in ihrer Umsetzung oder Wirkung durch Mega-Infrastrukturprojekte beeinträchtigt oder gar zunichte gemacht werden, z. T. finanziert durch die Weltbank, die Europäische Union oder die Interamerikanische Entwicklungsbank. Deshalb ist es besonders wichtig, für die Einhaltung des Rechtes auf Partizipation von indigenen Völkern gerade auch in solchen Projekten zu sorgen, die von deutscher Seite bilateral und multilateral gefördert werden.
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Die ILO-Konvention Nr. 169 ist momentan das stärkste internationale Rechtsinstrument, das den Schutz und die Förderung indigener Völker garantiert. Sie bietet diesen die Möglichkeit, neben den allgemein gültigen Menschenrechten und Grundfreiheiten ihr spezifisches Recht auf kulturelle Identität, auf Land und Mitbestimmung über Ressourcen und Entwicklung innerhalb ihrer Territorien einzufordern. In seiner Kooperation mit indigenen Völkern unterstützt Misereor diese Forderungen seit vielen Jahren.
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Wir beobachten, dass der Bezug auf die ILO-Konvention Nr. 169 in vielen Staaten von indigenen Völkern zur Verteidigung ihrer Rechte sowohl gegenüber dem Staat als auch gegenüber Dritten genutzt wird. Als internationale Konvention können Betroffene an die Gemeinschaft der Unterzeichnerstaaten appellieren, um auf Missstände aufmerksam zu machen und durch die vorgesehenen internationalen Kontrollmechanismen deren Behebung einzufordern.
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Spätestens mit der Verabschiedung des Konzeptes zur Kooperation mit indianischen Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Jahre 1996 hat die deutsche Bundesregierung die Grundprinzipien der ILO-Konvention Nr. 169 als Maßstab ihrer eigenen entsprechenden Entwicklungspolitik anerkannt. Es bleibt jedoch unglaubwürdig, wenn sich die Bundesregierung im Rahmen der eigenen Menschenrechtspolitik gegenüber anderen Ländern einerseits für die Umsetzung dieser Prinzipien einsetzen will, selbst jedoch der Konvention nicht beitritt. Auch zur Fundierung der eigenen Projekt- und Programmarbeit mit indigenen Völkern, wie z.B. in den Komponenten des G7-Programms zum Erhalt des brasilianischen Tropenwalds (PPG7), sollte die Bundesregierung die ILO-Konvention Nr. 169 ratifizieren, um gegenüber den Partnerregierungen die Durchsetzung indigener Rechte glaubhaft anmahnen zu können.
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Ein Land, das die Förderung und Einhaltung der Menschenrechte zum Leitbild der eigenen Politik erhebt, kann es nicht nur den Kirchen sowie verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft überlassen, sich mit der Umsetzung der Prinzipien der ILO-Konvention Nr. 169 zu befassen. Wir setzen große Hoffnungen darauf, dass auch die Bundesregierung sowie staatliche Vertreter bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in den Ländern mit indigener Bevölkerung stärker für den Respekt vor den Rechten von indigenen Völkern eintreten, die in der Konvention definiert sind.
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Aus Deutschlands Ratifizierung des UN-Zivilpakts ("Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte", Art. 27), sowie des UN-Sozialpakts ("Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte", Art. 15) leitet sich die Anerkennung des Rechts ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten ab, ihre eigene Kultur auszuüben. Die Bundesregierung ist aufgefordert, diese Rechte nicht nur im Inland, sondern weltweit zu fördern. Aus Art. 2 des Sozialpakts ergibt sich die Verpflichtung für jeden Vertragsstaat, also auch für Deutschland, "durch internationale Zusammenarbeit […] unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um […] vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen." Die Ratifizierung der ILO-Konvention Nr. 169 wäre daher ein konsequenter Schritt zur Erfüllung dieser völkerrechtlichen Verpflichtung.
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Es wäre beschämend, wenn deutsche Wirtschaftsinteressen einer Ratifizierung im Wege stehen sollten. Denn nicht zuletzt ist die ILO-Konvention Nr. 169 auch ein Beitrag im Kampf gegen den Abbau von Sozialstandards, wie er gegenwärtig im Zuge von Globalisierungsprozessen durch die Arbeitsplatzverlagerungen in Länder stattfindet, in welchen Menschenrechte teilweise mit Füßen getreten werden.
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Andere Industrieländer wie Norwegen, die Niederlande und Dänemark sind mit gutem Beispiel voran gegangen und haben die ILO-Konvention Nr. 169 bereits ratifiziert. Diesem Beispiel sollte Deutschland folgen.
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Wir fordern die Bundesregierung auf, die ILO-Konvention 169 umgehend zu ratifizieren. Die mit dem Jahresende auslaufende UN-Dekade indigener Völker bietet hierfür einen würdigen Anlass.
Dr. Volker von Bremen Elisabeth Strohscheidt und Ulrike Bickel
Misereor-Berater für indigene Fragen Misereor-Menschenrechts-Referentinnen